In Erinnerung an Enzo Dellantonio, Gründungsmitglied und Präsident der Sozialgenossenschaft independent L.
Mittlerweile ist fast schon ein Jahr vergangen, seit unser langjähriger Präsident und Mitbegründer von independent L.
Enzo Dellantonio am 17. Jänner 2023 verstorben und damit seiner geliebten Frau Tiziana Aguiari († 07/08/2022), nachgefolgt ist, die nur wenige Monate zuvor, am 07.08.2022, verstorben war. Auch sie war eine allseits bekannte Persönlichkeit im lokalen Sozial- und Verbandswesen.
Enzo Dellantonio setzte sich jahrzehntelang für Menschen mit Behinderungen ein, indem er sich für ihre soziale Inklusion, ihre konkrete und materielle Autonomie und vor allem für ihre Entscheidungsfreiheit einsetzte.
Nach seinem Studium der modernen Fremdsprachen und Literatur in Bologna nimmt Enzo Dellantonio an einem Auswahlverfahren für eine Lehrstelle an Mittel- und Oberschulen teil, das er gewinnt und ihn bald darauf zum stellvertretenden Schulleiter befähigt. Mit 32 Jahren hat er jedoch einen tragischen Unfall und wird querschnittsgelähmt. Nach neunmonatiger Rehabilitation im Zentrum Häring Bad Häring kehrt er nach Meran zurück, nicht mehr als Lehrer, sondern als Bibliothekar – eine Erfahrung, die Enzo als einschneidend in Erinnerung hat, denn sie war geprägt von Isolation und Hilfsbedürftigkeit, zumal er täglich tatsächlich die Treppe hinaufgetragen wird. Im April 1997 beschließt Enzo, dass dies nicht der richtige Weg für ihn ist. Er kündigt seinen Job und gründet einige Monate später, im November desselben Jahres, zusammen mit anderen Rollstuhlfahrern die Sozialgenossenschaft independent L.
Enzo erzählte gerne von diesen Anfängen: “Am Anfang waren im Büro nur Martin Telser, ebenfalls im Rollstuhl, und meine damalige Lebensgefährtin Tiziana, die später meine Frau wurde – eine Quelle des Mutes für meinen 'Neuanfang' – sowie zwei Sozialberater, ein Programmierer und eine Buchhalterin. Unser Ziel war es, auf Provinzebene eine Anlaufstelle für alle Menschen zu werden, die aufgrund einer erworbenen Behinderung ihr Leben radikal ändern mussten. Wir wollten nicht nur eine Beratungsstelle sein, sondern auch die Möglichkeit einer beruflichen Umschulung zur Arbeitseingliederung von Menschen mit motorischen Behinderungen anbieten, insbesondere in den Bereichen IT und Betriebswirtschaft, und die Bevölkerung insgesamt für eine inklusive Gesellschaft sensibilisieren”.
Von Anfang an erkannte Enzo diesbezüglich das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien, um die Autonomie von Menschen mit motorischen Behinderungen in verschiedenen Lebensbereichen zu erhöhen: In einer Zeit, in der das World Wide Web noch in den Kinderschuhen steckte, sah Enzo in der Digitalisierung ein ganz zentralen Weg, um physische und kommunikative Barrieren zu überwinden und so neue Formen der Teilhabe zu aktivieren. Gleichzeitig war sich Enzo bewusst, dass lokale Maßnahmen zugunsten von Menschen mit Behinderungen mit einem Szenario konfrontiert werden können und müssen, das dem der europäischen Politik und den daraus resultierenden möglichen Finanzierungskanälen entspricht.
Im Laufe der Jahre hat Enzo ein dichtes Netz von Kooperationen mit öffentlichen Einrichtungen, Universitäten und Forschungsinstituten in Italien und im Ausland aufgebaut. Er hat unzählige Initiativen zur Sensibilisierung organisiert. Er hat wissenschaftliche Studien zu Fragen im Zusammenhang mit der Welt der Behinderungen gefördert und durchgeführt. Er hat seinen persönlichen und beruflichen Beitrag zur Verbesserung des rechtlichen Rahmens und der lokalen Dienste zum Schutz von Menschen mit Beeinträchtigungen geleistet. Er hat sich für die Beseitigung weit verbreiteter Vorurteile eingesetzt. Einige seiner Initiativen wurden auf europäischer Ebene als Best Practice anerkannt. Dabei ist er immer wieder an die Grenzen des Machbaren gegangen, hat seine Gesprächspartner*innen verwirrt und dazu gebracht, ihre Sichtweise auf die Welt der Behinderungen zu ändern, und hat Partnerschaften aufgebaut, die im Laufe der Jahre zu Freundschaften wurden.
Im Jahr 2019 wurde sein Engagement gewürdigt: Enzo erhielt vom Landeshauptmann die Tiroler Verdienstmedaille für sein ehrenamtliches Engagement im Dienste des Gemeinwohls.
Nur einen Monat vor seinem Tod feierte er indes noch das 25-jährige Betriebsjubiläum von independent L. - eine Genossenschaft, die heute auf 24 interne Mitarbeitende, eine Vielzahl von externen Mitarbeitenden und mehr als 3.000 Dienstleistungsnutzer*innen zählen kann. Während des Festaktes hatte Enzo die Mission von independent L. mit einigen Worten umrissen, die sich heute wie ein moralisches Testament und zugleich wie eine Leitlinie für die Zukunft lesen: “Als Sozialgenossenschaft des Typs B fördert independent L. seit ihrer Gründung ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben, vor allem durch die Arbeitsintegration von Menschen mit Behinderungen. Um dieses Ziel zu erreichen, identifizieren und entwickeln wir Instrumente für die soziale Eingliederung und stellen als Beratungs- und Kompetenzzentrum für assistierende Hilfsmitteltechnologien unser Wissen, unsere Methoden und unsere Erfahrung im Interesse der Gesellschaft und unter Wahrung der Rechte jedes Einzelnen zur Verfügung. Wir konzentrieren uns auf die neuesten Technologien, auch im Bereich der Hausautomation, immer inspiriert vom Design for all, d.h. der Gestaltung von Räumen und Vorrichtungen, die von allen genutzt werden können”.
Enzo war ein Wegbereiter und Idealist, ein charismatischer Vorkämpfer für die Dinge, an die er glaubte.
Er hat independent L. ein solides Fundament hinterlassen, um den Weg der Inklusion aller Menschen mit Behinderungen in den verschiedenen Lebensbereichen weiterzugehen.